Jahreszeiten

Bei den Atikamekw hängt die Lebensweise von den Jahreszeiten ab, die die Aktivitäten und die Fortbewegung auf dem Territorium bestimmen. In jeder Jahreszeit gibt es eine Hauptaktivität und die Lagerplätze wechseln. Das Verhältnis zur Natur ändert sich mit der Jahreszeit.

Sikon: Der Vorfrühling

Die Jahreszeiten beginnen mit Sikon, einer Art Vorfrühling in den Monaten März und April, in denen der Schnee taut und die als Zeit der schimmernden Oberfläche bezeichnet werden.

Der Vorfrühling ist die Zeit des Ahorns. Es werden Körbe aus einem einzigen Stück Rinde gefertigt, das mit Elchhautriemen zusammengehalten und mit gekochtem Fichtenharz abgedichtet wird. Diese Körbe dienen dazu, das Ahornwasser aufzufangen und den Ahornzucker zu formen. Dazu werden die Stämme der Ahornbäume angeritzt, das herauslaufende Ahornwasser aufgefangen und dann wird das Wasser in einem Kessel über dem Feuer zum Kochen gebracht. Der Sirup wird abgeschöpft und in einem Baumwolltuch gefiltert. Während man geduldig wartet isst man ein wenig Pekiwisikan (frz.: tire d’érable, eng.: maple taffy), eine klebrige Masse die durch das Aufkochen von Ahornsirup entsteht. Wenn an dem Löffel mit Loch eine Luftblasenkette entsteht, ist es Zeit, den heißen Zucker in die Formen zu gießen.

Miroskamin: Der Frühling

Es folgt Miroskamin, der Frühling, der sich über die Monate Mai und Juni erstreckt. Er verkündet das Erwachen der Natur, da der Mai der Blütenmonat ist und der Juni der Erdbeermonat. Die Erde ist nicht mehr mit Schnee bedeckt und die Vögel kehren zurück.

Der Frühling ist die Jahreszeit, in der die Menschen und Tiere große Strecken bewältigen. Das Territorium wird durchwandert, um die pflanzlichen Lebensmittelvorräte wieder aufzufüllen. Zander und Forellen werden mit Netzen gefischt, Bisamratten, Biber, Enten und Rebhühner werden gejagt und ihre Häute werden zerlegt. Es ist die Zeit der Moosbeeren, die in schnell hergestellten Behältnissen aus Rinde gesammelt werden und aus denen die Atikamekw Marmelade herstellen.

Nipin: Der Sommer

Dann kommt Nipin, der Sommer. Wir dürfen sehen, wie sich die Natur entfaltet.

Der Sommer ist die Zeit der Jagd auf Kleinwild (Enten, Rebhühner, Hasen), des Netzfischens (Zander, Hecht, Forelle) und des Sammelns von Rinde, Medizinpflanzen und Beeren wie Heidelbeeren, aus denen eine sehr dichte und nahrhafte Paste hergestellt wird, die im Sommer ständig als Nachtisch gegessen wird und eine wichtige Vitamin-C-Quelle darstellt, die im Wald überlebenswichtig ist. Die Enten werden gerupft, die Fische ausgenommen. Die Birkenrinde wird für die Herstellung von Körben und anderen Behältnissen verwendet und die Heidelbeeren werden (durch Verdunstung) zu einer getrockneten Paste verarbeitet, die über den Winter konserviert wird.

Takwakin: Der Herbst

Takwakin bedeutet Herbst. Die Tage werden immer kürzer und die Blätter fallen von den Bäumen. Im September färben sich die Blätter in die Farbe des Feuers und Oktober ist der Monat von Lachs und Forelle.

Der Herbst ist die Jahreszeit der Elchjagd und des Maränenfischens, jenem weißen Fisch, nach dem die Atikamekw benannt wurden. Es ist die Brunstzeit der Elche, bei denen sie auf die Rufe, auch „call“ genannt, antworten. Von diesen Tieren werden ein paar gejagt, um Vorräte für den Winter anzulegen. Beim Auseinandernehmen wird nichts weggeschmissen. Die Haut wird vorsichtig abgezogen. Aus ihr werden Riemen hergestellt. Die Innereien werden zum sofortigen Verzehr vorbereitet und das Fleisch wird geräuchert, um es zu konservieren. Die Heringsmaränen werden mit den Netzen gefischt: Abschuppen, ausnehmen, zurechtschneiden und auf einem Stock aneinanderreihen; danach werden sie für die Konservierung geräuchert.

Pitcipipon: Der Vorwinter

Nun folgt der Vorwinter, oder Pitcipipon. Auf ihn fallen die Monate November und Dezember, wenn der Schnee wiederkommt und die Tiere ihre Winterquartiere bauen. November ist der Monat der Heringsmaränen, dieser Fische, die von den Atikamekw sehr viel gefischt werden, und der Dezember ist der Monat, in dem der Schnee kommt.

Da die Tiere im Vorwinter die schönsten Felle haben, ist es die Jahreszeit, in der Fallen für Biber und Marder und Schlingen für Hasen aufgestellt werden. Die Männer haben eine Fangtechnik für die Biber entwickelt. Mit Hilfe der Hunde orten sie die Biberburgen und wenden dann ihre altüberlieferte Fangtechnik an, bei der am Ende einer der Jäger mit seinen Händen den Biber unter Wasser bei den Pfoten packt. Eine der Frauen geht die Schlingen ab, um die Hasen mitzunehmen, die sich dort verfangen haben. Einer der Männer bringt die Marder mit zum Lagerplatz. Die verschiedenen Felle werden vorbereitet und mit Hilfe der geflochtenen Hasenhautriemen stellen die Frauen Mäntel her.

Pipon: Der Winter

Und schließlich zieht Pipon, was übersetzt Winter bedeutet, mit seinem Schnee, dem Wind und der puderweißen Landschaft endgültig ein. Januar wird als der längste Monat betrachtet und Februar ist der Monat des Murmeltiers.

Im Winter wird unter dem Eis mit einem Netz gefischt. Die Männer bohren Löcher und lassen eine Stange unter das Eis gleiten, an der ein Seil und daran wiederum das Netz befestigt ist. Die Löcher werden geschlossen, die Netze gespannt und später kommt man zurück, um die Fische aus den Netzen zu holen. Auf dem Lagerplatz werden Schneeschuhpaare hergestellt. Dazu entfernen die Frauen das Haar einer Elchhaut, waschen, rubbeln und gerben die Haut, schneiden daraus Riemen und flechten diese zu einem Netz innerhalb des von den Männern angefertigten Schneeschuhrahmens.

Bei den modernen Indianern und Indianerinnen wird das Jahr nun ebenfalls in zwölf Monate unterteilt. Die alten Atikamekw haben sie aber in ihre Sprache übersetzt. Der Monat beginnt mit demselben Tag wie in dem Kalender, den man heute kennt: dem gregorianischen Kalender. Bei den Atikamekw werden die Monate wie folgt ausgelegt:

  • Januar heißt „Kenositc Pisimw“, weil es der längste Monat ist,
  • Februar „Akokatcic Pisimw“, weil da alle Murmeltiere aus ihren Winterquartieren kommen,
  • März „Nikikw Pisimw“ ist der Monat der Otter,
  • April „Ka Wasikatotc Pisimw“ der Monat, in dem sich der Mond auf dem Eis spiegelt,
  • Mai „Wapikon Pisimw“ der Monat der Blüten,
  • Juni „Otehimin Pisimw“ der Monat der Erdbeeren,
  • Juli „Mikomin Pisimw“ der Monat der Himbeeren,
  • August „Otatokon Pisimw“ der Monat, in dem die Jungvögel fliegen lernen,
  • September „Kakone Pisimw“, da es der Monat ist, in dem sich das Stachelschwein fortpflanzt,
  • Oktober „Namekosi Pisimw“ der Monat, in dem die Forellen laichen,
  • November „Atikamekw Pisimw“ der Monat, in dem die Heringsmaränen (= Atikamekw) laichen,
  • Dezember „Pitcipipon Pisimw“ der Monat der langen Zeitperioden.

Um die Monate zu übersetzen, beschrieben die Alten die Vorgänge und Aktivitäten, die Jahr für Jahr während dieser Monate im Vordergrund standen. Damit verweisen die Monats- und Jahreszeitennamen direkt auf die Realitäten der atikamekischen Kultur. In den drei Atikamekw-Gemeinden werden diese Namen bis heute verwendet.